Zieldefinition im Kulturbetrieb am Beispiel Chor

Haben Sie einmal Mission und Vision formuliert (siehe letzter Blogbeitrag), ist die nächste Aufgabe, daraus Ziele abzuleiten und diese in Strategien zur Zielerreichung herunter zu brechen. Die strategischen Ziele spannen den großen Bogen, geben die große Linie vor. Die operationalen Ziele beschreiben dann, wie die strategischen Ziele bezogen auf konkrete Aufgabenbereiche in die Tat umgesetzt werden. Operationalisierbar bedeutet, dass die Zielerreichung messbar ist. Nach wie vor sind die Zieldimensionen des Kulturmarketings (Kulturauftrag erfüllen, eine bestimmte Zielgruppe erreichen, den Bestand der Kultureinrichtung sichern) Basis für die Arbeit im Kulturbetrieb und die Besonderheiten der Nonprofit-Organisation (siehe frühere Blogs) zu berücksichtigen. Die Legitimation für den NPO-Kulturbetrieb kommt nicht aus der Gewinnorientierung, sondern aus künstlerischen, kulturpolitischen, ästhetischen, kulturpädagogischen oder inhaltlichen Zielsetzungen.

Im Prozess der Zielvereinbarung geht es darum, mehrere Zieldimensionen im Auge zu behalten:

1. Inhaltliche Leistungsziele, also den Zielinhalt und den angestrebten Zielerreichungsgrad
Z.B.: Welche Bedeutung soll zeitgenössischer Chorliteratur entgegengebracht werden? Welche Qualitätsansprüche werden an die Sänger gestellt?

2. Die Zielgruppen
Z.B.: Welche Zielgruppen sollen mit welchen Konzertprogrammangeboten vorrangig erreicht werden?

3. Finanzziele, die den zur Zielerreichung nötigen personellen, finanziellen und sachlichen Ressourcenaufwand fixieren.

4. Personenbezogene Ziele, die sich auf die Entfaltungsmöglichkeiten der einzelnen Mitarbeiter beziehen
Z.B. Eine MitarbeiterIn soll mittelfristig die Website ganz selbstständig betreuen, Informationen einpflegen, aktuelle Fotos in entsprechender Auflösung und Qualität hochladen o.Ä.m.

5. Die zeitliche Dimension, also ob es sich um ein lang-, mittel- oder kurzfristiges Ziel handelt.

6. Quantitatives oder qualitatives Ziel
Z.B.: erzielte Einnahmen oder künstlerisch einzigartige Performance

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Im Idealfall entsprechen die Zieldefinitionen den SMART-Kritierien, das bedeutet, dass die Ziele spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminbezogen formuliert sind. Damit werden sie erstens konkreter und zweitens kann hinterher klar beurteilt werden, ob Ziele erreicht wurden oder nicht.

Spezifisch bedeutet, unmissverständlich zu benennen, worum es geht. Die Formulierung soll keinen Spielraum für Interpretationen oder Nachforderungen übrig lassen.

Messbar meint, Ziele so zu formulieren, dass später objektiv erkennbar und nachweisbar ist, ob das Ziel eingehalten und erreicht wurde, oder nicht. Begriffe wie „höher“, „weiter“, „besser“, „mehr“ oder „zufrieden“ helfen bei der Überprüfung der Zielerreichung nicht weiter!

Attraktiv bedeutet, dass man die Zielerreichung weitgehend selbst beeinflussen kann. Man beschreibt also bei der Zielformulierung bereits den beabsichtigten Endzustand, als ob er bereits eingetreten wäre. Realistisch meint, dass das Ziel anspruchsvoll, aber nicht unerreichbar formuliert werden soll. Das formulierte Ziel soll eine erreichbare Zukunftsperspektive darstellen.

Realistisch meint, dass das Ziel anspruchsvoll, aber nicht unerreichbar formuliert werden soll. Unerreichbare Ziele wirken demotivierend und zerstören den Handlungsantrieb. Das formulierte Ziel soll eine erreichbare Zukunftsperspektive darstellen.

Terminbezogen bedeutet, die Zielkontrolle dadurch zu unterstützen, dass bereits bei der Formulierung des Ziels festgelegt ist, zu welchem Zeitpunkt (eindeutiger Endtermin!) ein Ziel erreicht sein soll.

Zielkonflikte sind dabei nicht zu vermeiden. Es gilt, sie zu erkennen und eine Abwägung in der Priorität der Zielerreichung zu treffen.

Wofür diese grundsätzlichen Überlegungen in der Praxis so überaus wertvoll sind, wird durch ein praktisches Beispiel aus dem Chorleben leicht nachvollziehbar:

Sie planen ein Konzert Ihres Chores mit zeitgenössischer a cappella Literatur. Gehen wir davon aus, dass Sie sich entsprechend Ihrer Mission als Spezialist für die Interpretation dieser Chorliteratur verstehen. Gleichzeitig wissen Sie, dass Ihr Publikum lieber romantische Chormusik (z.B. Werke von Johannes Brahms oder Anton Bruckner) hört und auch ein Teil Ihrer Sänger diese Literatur lieber aufführt als zeitgenössische Werke. Zudem ist die Probenarbeit weit aufwändiger für ein zeitgenössisches Programm. Der Finanzierungsbedarf ist also höher als bei einem romantischen Programm und die Begeisterung Ihres Publikums scheint zurückhaltender zu sein, wenngleich Sie bei einem solchen Programm stark auf die Abendeinnahmen angewiesen sind. Öffentliche Förderungen wiederum sind nach Ihrer Erfahrung leichter für ein zeitgenössisches als für ein romantisches Programm zu erzielen. Die Beschreibung der Auswirkungen auf Ihre unterschiedlichen Anspruchsgruppen könnte noch weiter ausgeführt werden. Klar wird an diesem Beispiel, dass die Beurteilung, ob ein solches Projekt in Ihr Zielsystem passt und wie gegensätzlich Ihre Ziele sein können, überaus komplex ist. Sie stehen dann vor einer wirklich großen Herausforderung und werden auch über Zielhierarchien, also die Frage, die Verfolgung welcher Ziele Ihnen wichtiger ist, entscheiden und Zielkonflikte lösen müssen.

Ein Zielsystem ist nicht als Einschränkung und enges Korsett zu verstehen, in das man sich nicht gerne zwängen lassen will, sondern vielmehr eine unterstützende Basis für Entscheidungen und die Erfüllung der anstehenden Aufgaben. Egal, ob es dann um Fragen der Erfüllung des künstlerischen Auftrags, um Fragen der Zielgruppen oder um Fragen der Bestandssicherung geht, kann auf der Grundlage klar definierter Ziele im Konfliktfall klarer und rascher die passendste Lösung gefunden werden.

Mission und Vision im Kulturbetrieb am Beispiel Chor

Wenn man in einem Chor danach fragt, wofür dieser steht und was er verwirklichen will, welchem kulturellen Auftrag er sich verpflichtet fühlt, erhält man allzu oft fragende Blicke oder die Antwort „Wir singen diese und jene Werke bei diesem oder jenem Anlass mit diesen und jenen Partnern!“ oder „Wir müssen uns nach der Nachfrage durch Veranstalter richten. Aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen können wir uns gar nicht in dem Bereich verwirklichen, der uns eigentlich ein Anliegen ist.“ oder „Das ist doch eh klar. Wir machen das, was sich in den letzten Jahren für uns bewährt hat.“ Stimmt schon, das ist oft die Realität, der man sich gegenüber sieht. Aber was will man eigentlich inhaltlich?

„Wer nicht weiß, wo er hin will, darf sich nicht wundern, wenn er woanders ankommt“, wusste bereits Mark Twain.

_NIK4503_5_7Das gilt für Kulturbetriebe ebenso: Abseits des Choralltags und losgelöst von der Bewältigung organisatorischer Aufgaben sollten sich Chorleitung und Führungsgremium mit der Grundsatzfrage auseinandersetzen, was man eigentlich will, wofür man steht, worin man seine Einzigartigkeit und seine besonderen Fähigkeiten sieht. Man spricht von der Formulierung der eigenen Mission – vom „reason for being“, also dem Grund, warum es den Kulturbetrieb, den Chor, überhaupt gibt. Ein oder zwei Sätze beantworten Fragen wie „Wofür halten wir uns kompetent?“, „Wo liegen die wahren Möglichkeiten und Bedürfnisse in unserem Umfeld?“, „Wie können wir diese Bedürfnisse mit unseren begrenzten Mitteln realisieren?“ und „Glauben wir auch daran, haben wir das Committment, die gestellten Aufgaben zu erfüllen?“.

Durch die Formulierung von Grundwerten und der Grundausrichtung kann sich der Kulturbetrieb Chor in weiterer Folge auf seine wichtigsten Aufgaben und Handlungen fokussieren. Das sogenannte Mission Statement dient als Orientierungshilfe und normativer Rahmen, innerhalb dessen zielorientiert alle weiteren Handlungen gesetzt werden.

Der zweite wichtige Aspekt ist, diese Grundausrichtung in eine Vorstellung für die Zukunft, die Vision, überzuleiten. Die Vision wird aus der Mission weiterentwickelt und beinhaltet eine Antwort auf die Frage, warum es den Kulturbetrieb, den Chor, auch noch nach einigen Jahren nicht nur geben soll, sondern geben muss, wohin er sich in den nächsten Jahren entwickeln will. Aus der Mission wird also einerseits die Grundlage der dauerhaften Existenz abgeleitet und gleichzeitig andererseits ein positives Abbild der Entwicklung gezeichnet, das der Kulturbetrieb aus seiner Mission heraus in der Zukunft erreichen will.

Erst wenn das klar ist, können lang-, mittel- und kurzfristige Ziele formuliert und nachhaltig verfolgt werden, können Ressourcen auf diese Ziele hin geplant und eingesetzt werden, können Finanzierungen für Projekte gesucht werden usw.

Idealerweise gibt man diesen Grundsatzüberlegungen in einer eigens dafür vorgesehenen Sitzung, in einer Klausurtagung o.Ä. Platz, damit operative Fragen des Choralltags, die sonst stets dringlicher sind, nicht die Grundsatzdiskussion überlagern. Wichtig ist, ein einhelliges Grundverständnis über Mission und Vision unter allen handelnden Entscheidungsträgern herzustellen. Nur so ist gewährleistet, dass alle Beteiligten die gleiche Zielrichtung eingeschlagen haben und den Chor in dieselbe Richtung  weiterentwickeln wollen. Uneinigkeit in der Grundrichtung vereitelt konstruktive Arbeit in der Umsetzung der Mission und Vision, verursacht in der Folge Zielkonflikte und lässt Maßnahmen des Kulturmarketings ins Leere gehen.

Lesen Sie im nächsten Blog weiter über Ziele und Strategieentwicklung im Kulturbetrieb!

Was ChorsängerInnen neben dem Singen wichtig ist: Eine empirische Untersuchung unter ChorsängerInnen.

ChorsängerInnen teilen die Leidenschaft zum gemeinsamen Musizieren. Was aber ist für ChorsängerInnen abseits des Singens wichtig, worauf legen sie wert, wie sehr identifizieren sie sich mit dem Chor, wie sehr bringen sie sich mit ehrenamtlicher Arbeit ein und tragen so wesentlich zum gemeinsamen Ganzen bei?

Die Ergebnisse einer Online-Befragung (Quantitative standardisierte Erhebung mittels Online-Fragebogen, 2012), an der 1.176 ChorsängerInnen (62% Frauen, 38% Männer) aus ganz Österreich teilnahmen, geben ein aktuelles Bild:

63% aller Befragten singen in einem Laienchor, 31% in einem semiprofessionellen und 6% in einem Profichor. 20% sind Mitglied eines Projektchores, 80% ordneten ihren Chor der Kategorie „Chor mit Stammbesetzung“ zu.

Stärkster Beweggrund für Chorsingen ist, gerne in der Gruppe zu musizieren (99,5%). Am zweitwichtigsten ist der Chor als soziale Einheit (66%). Danach erst folgen künstlerisch-musikalische Kriterien  „Die Projekte des Chores sind interessant“ (63%) und „Ich identifiziere mich mit den Projekten des Chores“ (55%). Gerne mit dem Chorleiter zusammenarbeiten zu wollen, folgt erst auf Platz fünf mit 53%. Bezahlung spielt eine untergeordnete Rolle.

Die entscheidendste Restriktion, die ein Chormitglied am Mitsingen hindert, sind andere Termine (31%), die Frage des musikalischen Programms ist relativ dazu nicht so bedeutend (16,6%).

Viele SängerInnen wünschen sich generell, stärker an der Entscheidungsfindung über die Chorarbeit eingebunden zu werden. 25% wären gerne regelmäßig (tatsächlich sind es 18%), 55% gerne manchmal einbezogen (gegenüber 49% tatsächlich Einbezogenen). 32% sind derzeit nie einbezogen, aber nur 19% wollen auch nie einbezogen werden.

Ehrenamtliche Arbeit ist sowohl in Amateurchören (91%) als auch in Profichören (75%) gefragt. Das persönliche tatsächliche Engagement liegt weit unter diesem Bedarf: Im Laienchor arbeiten 60% „regelmäßig“ oder „immer wieder einmal“ ehrenamtlich mit. Im semiprofessionellen und im Profichor engagieren sich hingegen 57% bzw. 65% „eher selten“ oder „nie“.

Zwei Drittel aller Befragten sehen Verbesserunspotentiale in ihren Chören, ein Drittel ist mit dem Ist-Zustand zufrieden. Der größte Veränderungsbedarf wird der Qualifizierung der SängerInnen (25%) zugeordnet, ebenso verbesserbar sind die Kommunikation seitens der Leitung zu den SängerInnen (14%) und organisatorische Fragen (z.B. Terminplanung, 13%), knapp gefolgt von  künstlerischen Fragen (Programmierung 12%, künstlerische Arbeit 10%).

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Chor oder Blasmusik?

Bei meinem letzten Vortrag über erfolgreiches Chormanagement vor wenigen Tagen kam die Diskussion mehrmals auf die Blasmusik:

Erster Beitrag: Welche Bedürfnisse haben Mitglieder einer Blasmusikkapelle verglichen mit jenen der ChorsängerInnen als Stakeholder?

Interessante Frage, die es wert wäre, einmal näher untersucht zu werden. Die Bedürfnisse von ChorsängerInnen als Stakeholder habe ich von knapp einem Jahr untersucht (die Ergebnisse stehen zum Download zur Verfügung). Die wesentlichen Erkenntnisse daraus waren: Der Chor als soziale Einheit steht für die Mitglieder an oberster Stelle – noch vor den Fragen der Programmgestaltung oder der Frage nach der Person (oder Persönlichkeit) des künstlerischen Leiters. Ehrenamtliche Arbeit ist bei allen Chören für deren Bestand extrem wichtig. Gleichzeitig übernehmen in Amateurchören ca. 50 % der Mitglieder regelmäßig oder zumindest immer wieder einmal ehrenamtlich Arbeiten für das Kollektiv. Junge Menschen engagieren sich dabei deutlich weniger als ältere Menschen. Wie sieht es bei der Blasmusik aus? Sind die Strukturen und Grundaussagen vergleichbar? Hat jemand Untersuchungen oder Infos?

Blasmusik

Zweiter Beitrag: Die Schilderung der Einbindung eines Chores in das Dorffest.

Alle Vereine des Dorfes werden einbezogen – zumindest vordergründig. Die Blasmusik spielt eine ganze Weile, während die Menschen sich unterhalten und kulinarisch versorgen, sozusagen Begleitmusik, aber dank der Instrumente stets gut hörbar. Dem Chor wird ein Platz am Rand des Festplatzes zugewiesen. Mikrofonanlage gibt es keine und auch der Chor soll – wie die Blasmusik – ein paar Stücke zur Aufführung bringen. Unter diesen Voraussetzungen nimmt kaum jemand vom singenden Chor Notiz, Chormusik als Begleitmusik zum Dorffest funktioniert nicht. Der Raum (sowohl örtlich als auch im Ablauf des Festes) war eindeutig für die Erfordernisse des Chores ungeeignet. Man hat ihn zwar eingeplant, aber sich total verschätzt. Wie kommt so etwas zustande? Eine Frage von Unkenntnis oder Unverständnis? Eine Frage von Wertschätzung? Eine Frage des Stellenwerts?

Immer wieder – so wurde mir berichtet – wird von den Chorleitern verlangt, sich doch an der Blasmusik zu orientieren, dort liefe alles so wunderbar, dort könne man sich viel Positives abschauen.

Wäre einmal interessant, im Detail zu erfahren, was da besser läuft. Geht es da um Fragen des Nachwuchses? Oder um die den Vereinen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel für den Instrumentenankauf, die Uniformen, die Unterstützung des Musikunterrichts? Oder um den Ruf? Oder um das Gemeinschaftsgefühl? Oder um die Gewöhnung an Alkohol? Oder um die Frage des sich für den Verein verantwortlich Fühlens und Mitwirkens bei allen Auftritten?

Diesmal mehr Fragen als Antworten … ich kam mit meinen Diskutanten auf keine befriedigenden Lösungen. Wer eine kennt, möge sie mir bitte umgehend zusenden!